Georg Kelling

Am 23.September 1901 demonstrierte der Dresdner Chirurg und Gastroenterologe Georg Kelling auf der 73. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Hamburg am Ende seines Vortrages " Über die Besichtigung der Speiseröhre und des Magens mit biegsamen Instrumenten" an einem Hund eine Bauchspiegelung. Er nannte das Verfahren Coelioskopie. Kellings geniale Idee, seinen oralen Luftinsufflationsapparat mit dem Fiedlerschen Trokar und dem Zystoskop von Nitze zu verbinden, führte 1901 zur Coelioskopie und war die Geburtsstunde der Laparoskopie. Georg Kelling hat bisher nicht die Würdigung erfahren die ihm zusteht. Er ist der vergessene Pionier einer Methode, die heute einen festen Platz bei der Diagnostik und Therapie in den konservativen und operativen Fächern der Medizin hat.

Der heutige Standard der endoskopischen Diagnostik und Therapie hat die wissenschaftlichen Arbeiten, Forderungen und Vorausahnungen Georg Kellings vor 100 Jahren bestätigt. Sein Name verdient deshalb einen festen Platz in der Geschichte der Medizin und besonders in der Geschichte der Endoskopie.

Jugend und Ausbildung

Georg Kelling (Abb. 1) wurde am 07. Juli 1866 in Dresden-Friedrichstadt als ältester Sohn des Ingenieurs Emil Kelling und seiner Frau Margarethe geboren. Nach dem Besuch der Bürgerschule, des Gymnasium "Zum heiligen Kreuz" und dem "Vitzthumschen" Gymnasium in Dresden verließ Kelling 1885 mit dem Zeugnis der Reife seine Heimatstadt, studierte in Leipzig und Berlin Humanmedizin, bestand im Juni 1890 die "Medizinische Staatsprüfung" und promovierte am 15. Juli 1890 mit dem Thema : "Über die Ermittelung der Magengröße" zum Doktor der Medizin. Die erfolgreiche Promotion hat seine weitere berufliche Entwicklung ganz wesentlich beeinflusst, denn er entschied sich, seine Weiterbildung auf dem Gebiet der Magen- und Darmkrankheiten zu beginnen. Im Sommer 1891 ging er zur Fortsetzung seiner Ausbildung für fünf Jahre nach Berlin.

Im Jahre 1896 ließ sich Kelling als Arzt für Magen-Darm-Krankheiten in Dresden nieder. Neben dem Aufbau seiner Praxis beschäftigte er sich zunächst intensiv mit endoskopischen Fragestellungen am Stadtkrankenhaus Dresden-Friedrichstadt sowie an der Königlichen Tierärztlichen Hochschule zu Dresden und hospitierte außerdem im Sommer 1898 bei Johannes von Mikulicz-Radecki an der Königlichen Chirurgischen Klinik in Breslau.

Kellings weitere Arbeit ist vor dem Hintergrund der Tätigkeit der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden und der Dresdner Medizin zur Exploration und Endoskopie offener und geschlossener Körperhöhlen im ausgehenden 19. Jahrhundert zu sehen. Kelling trat 1894 in die "Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden" ein und wurde hier mit den Forschungen von Fiedler, Schramm-Vogelsang, Nitze und Oberländer konfrontiert.

Orale und abdominale Luftinsufflation

In seiner Dissertation "Ueber die Ermittelung der Magengröße" hatte sich Kelling 1890 mit der Größenbestimmung des Magens mittels Perkussion beschäftigt. Im Ergebnis kam er zu dem Schluss, daß diese wenig geeignet erschien, Größe und Volumen des Magens zu ermitteln und schlug vor, mit einer oralen Gasinsufflation das Magenvolumen zu bestimmen. Den dafür notwendigen Apparat gab er an, verwies aber darauf, bisher selbst noch keine Untersuchungen durchgeführt zu haben. Ausgehend von seiner Promotion beschäftigte sich Kelling zwischen 1890 und1900 mit der Anatomie und Physiologie des Magens und sammelte Erfahrungen mit der oralen Luftinsufflation (Abb. 2).

In seinem am 17. September 1901 vorgelegten Beitrag "Die Tamponade der Bauchhöhle mit Luft zur Stillung lebensgefährlicher Blutungen" setzte sich Kelling mit den bis dahin bekannten und offensichtlich insuffizienten Methoden der Blutstillung bei Intestinalblutungen auseinander und stellte dann seine Überlegungen vor, mit einer abdominalen Luftinsufflation (Abb. 3) eine intraabdominale Gefäßkompression bei Drücken von 50 bis 80 mm Hg zu erreichen.
Er schrieb:

"Um dies festzustellen, schuf ich mir eine Methode der 
Endoskopie der uneröffneten Bauchhöhle (Coelioskopie)..."

Entwicklung eines neuen Konzeptes

Am 23. September 1901 hielt Kelling auf der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Hamburg (Abb.4) den denkwürdigen Vortrag "Über die Besichtigung der Speiseröhre und des Magens mit biegsamen Instrumenten". Nach der Besprechung der Ösophagoskopie und Gastroskopie erläuterte er am Schluss das Prinzip seiner neuen Methode, der Coelioskopie und führte aus:

"Sie beruht darauf, daß die vordere Bauchwand ausserordentlich nachgiebig ist. Machen wir also den Magen und den Darm leer und füllen die Bauchhöhle durch Einblasen von Luft, welche durch Watte filtriert wird, so bekommen wir einen großen Kuppelraum, in welchem wir uns bequem orientieren können (Kelling verwendete die Luftpumpe nach Politzer - die Verfasser).

Das Einblasen der Luft erfolgt durch einen Fiedlerschen Trokar, welcher bekanntlich so beschaffen ist, daß man nach dem Durchstechen der Bauchwand das Ende stumpf machen kann. Dieses stumpfe Instrument kann gleichzeitig zum Palpieren benutzt werden. Die Besichtigung erfolgt so, indem man einen zweiten Trokar einsticht, durch welchen ein feinstes Nitzesches Zystoskop eingeführt wird.

Ich schließe, m. H., mit dem Wunsche, daß die endoskopischen Methoden für den Verdauungstractus mehr Anwendung finden möchten, als bisher geschehen ist, denn sie sind tatsächlich berufen, die Laparotomie in vielen Fällen ersetzen zu können".

Auf der 47. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie im Jahre 1923 nahm Kelling das Thema "Endoskopie" noch einmal auf. In seinem Vortrag "Zur Cölioskopie und Gastroskopie" berichtete er, daß er sich in jüngster Zeit wieder der Besichtigung der Bauchhöhle zugewandt hat und formulierte:

"...hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen, weil die große Teuerung dazu nötigt, den Patienten Verpflegtage, Verbandstoffe, Medikamente und insbesondere evtl. vermeidbare Operationen, wie Probelaparotomien, nach Möglichkeit zu ersparen..." 

Wie viele Wissenschaftler vor ihm, musste sich Kelling in den Jahren 1910, 1921 und 1932 mit unerfreulichen Prioritätsansprüchen auseinandersetzen, die aber seine Schaffenskraft nicht beeinträchtigten. Der Internist Egmont Wildhirt, langjähriger Mitarbeiter von Kalk, beschrieb 1964 die Priorität Kellings wie folgt:

"Von ihm stammt aber die Konzeption, die Bauchhöhle mit Luft zu füllen und sich damit ein Gesichtsfeld zu schaffen, um die Bauchorgane besichtigen zu können"... "Kelling muß also als eigentlicher Erfinder der Laparoskopie gelten, wenn auch seine Pionierarbeit wieder in Vergessenheit geraten war.."

Georg Kelling und seine zweite Frau Johanna sind am 13./ 14. Februar 1945 bei den schweren Luftangriffen auf Dresden ums Leben gekommen. Die totale Zerstörung ihres Wohnhauses in der Christianstrasse Nr. 30 ist verbunden mit dem Verlust ihrer persönlichen Unterlagen. Sterbliche Überreste von Georg Kelling und seiner Frau gibt es nicht. Der vermutliche Todestag ist auf einer schlichten Grabplatte des Familiengrabes auf dem Annenfriedhof in Dresden (Abb.5) dokumentiert. 

 

Von der Coelioskopie zur MIC

Die wissenschaftliche Arbeit von Georg Kelling ist in der bisherigen Geschichtsschreibung nicht gewürdigt worden. Mit dem Abstand von einem Jahrhundert und unter Berücksichtigung des heutigen Stellenwertes der Endoskopie muß man die endoskopischen Arbeiten Kellings wie folgt bewerten:

  1. Dem Zeitgeist widersprechend hatte Kelling frühzeitig die endoskopischen Verfahren gegenüber der Probelaparotomie favorisiert (1898).
  2. Eine stadiengerechte operative Behandlung bösartiger Erkrankungen wurde von Kelling weitsichtig gefordert und zu diesem Zweck der primäre Einsatz endoskopischer Verfahren angemahnt (1898).
  3. Kelling hat erstbeschreibend und vollständig das erforderliche Grundinstrumentarium mit Insufflationsnadel (Fiedlerscher Trokar), Insufflationsapparat (Luftpumpe nach Politzer), Optiktrokar und Optik (Nitzes Cystoskop) für die Bauchspiegelung zusammengestellt und die Methodik beschrieben (1901).
  4. Die ersten Indikationen und Kontraindikationen zur Coelioskopie/ Laparoskopie wurden von Kelling formuliert (1901).
  5. Erstmalig wurden von Kelling die Möglichkeiten der intraabdominalen Diagnostik mit endoskopischer Inspektion und Palpation aufgezeigt (1901).
  6. Kelling empfahl, offensichtlich die Probleme bei der Ausbildung junger Ärzte voraussehend, endoskopische Verfahren an der Leiche zu üben (1901).
  7. Kelling hatte nahezu visionär die ambulante Durchführung endoskopischer Eingriffe, besonders der Bauchspiegelung vorausgesagt (1901).
  8. Weit seiner Zeit voraus, erkannte Kelling die vorteilhaften ökonomischen Aspekte endoskopischer Behandlungsverfahren (1923).

Würdigung

Die umfangreiche Bibliographie Kellings belegt die vielseitige wissenschaftliche Arbeit des Dresdner Chirurgen und Gastroenterologen. Niederschlag findet seine Arbeit in mehreren nach ihm benannten Untersuchungsmethoden und Operationsverfahren, auch wenn diese heute nicht mehr üblich sind oder von der Entwicklung überholt wurden.

Eine späte, aber sehr wertvolle Ehrung erfuhr das Werk Kellings im Oktober 1992 vom Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.

Unter dem Namen

"Johannes von Mikulicz-Radecki-Georg Kelling Förderpreis "Endoskopische Chirurgie"

stellt die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie jährlich einen Preis für besondere wissenschaftliche und praktische Leistungen aus dem Bereich der endoskopischen Chirurgie zur Verfügung (Abb. 6).

Legenden zu den Abbildungen

Abb. 1: Prof. Georg Kelling (1866-1945)
Abb. 2: Orale Luftinsufflation
Abb. 3: Abdominale Luftinsufflation
Abb. 4: "Konzerthaus Hamburg", Tagungsort der 73. Versammlung der Ges. Deutscher Naturforscher und Ärzte 22. - 28.09.1901
Abb. 5: Grabstätte der Familie Kelling auf dem Annenfriedhof in Dresden
Abb. 6: Medaille zum "Johannes von Mikulicz-Radecki-Georg Kelling-Preis"

Literatur

Schollmeyer, M. , Schollmeyer, Th.
Georg Kelling und die sächsischen Wurzeln der Laparoskopie - 100 Jahre Laparoskopie
Herausgeber: Verein Oschatzer Frauenärzte
Wagner Verlag und Werbung GmbH, Siebenlehn, 2001

Autoren

Dr. med. Manfred Schollmeyer, Collm Klinik Oschatz
Dr. med. Th. Schollmeyer, Uni-Frauenlinik Kiel